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Warum ich mich nicht um das eine Würstchen streite

@mauerschauer 0

Um einen Grill herum stehen die Chef Lobbyistin der deutschen Automobilindustrie ein Radfahrer und ein Fußgänger. Auf dem Grill liegen einhundert Würstchen. Die Lobbyistin nimmt sich neunundneunzig von diesen Würstchen auf ihren Teller. Dann wendet sie sich an den Fußgänger und sagt: „Pass auf, der Radfahrer will dir dein Würstchen wegnehmen.“

Adaptiert nach einer Känguru-Geschichte von Marc-Uwe Kling

Ein Kommentar zu ganz vielen ähnlichen Beiträgen, die ich schon gelesen habe und mit diesem Artikel in der taz-online vom 21.11.2023 als Anlass.
https://taz.de/Radrowdies-auf-Berlins-Gehwegen/!5970952/

Na klar, es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht auch über andere Verkehrsteilnehmer aufrege, wenn ich in Berlin unterwegs bin. Und regelmäßig erlebe ich als Radfahrer, dass Fußgehende mich ausbremsen und behindern.

Ich könnte viel schreiben über Hundebesitzer, die offenbar in so großer Armut leben, dass sie für ihre in der Regel äußerst schlecht erzogenen Tiere keine Leine kaufen können. Trotz berlinweiter Leinenpflicht. Ich könnte davon berichten, wie diese Hunde mir regelmäßig vors Vorderrad laufen. Ich könnte von einer Vollbremsung im Tiergarten erzählen, bei der ich auf sandigem Grund fast gestürzt wäre, weil ein unangeleinter Fiffi mir vors Vorderrad gelaufen ist. Entschuldigung von Herrchen? Fehlanzeige. Ich war natürlich zu schnell.

Ich könnte auch eine Kolumne darüber schreiben, wie kleine Touristen Grüppchen und Randberliner auf dem Radweg stehen und in meine Richtung schauen, aber wie die Kaninchen vor der Schlange versteinern ohne Platz zu machen. Oder über die eiligen Straßenquerer, die von der Farhrbahn kommend zwischen den überall parkenden Autos durch huschen und plötzlich vor mir auf dem Hochbordradweg erscheinen, um meine Reaktionsfähigkeit zu testen.

Der Fluch des Noise-Cancelling Kopfhörers

Und ich könnte sicher ein ganzes Buch mit Geschichten über Fußgänger füllen, die es nicht schaffen, einen Weg, den sie sich mit Radfahren teilen, so zu benutzen, dass man auch mit angemessenem Abstand an ihn vorbeifahren kann. Die zu viert nebeneinander gehen müssen und den Weg in kompletter Breite blockieren. Oder die, die sich nicht entscheiden können, ob sie rechts oder links auf dem Weg laufen wollen und hin und her mäandern, während sie gebückt in ihr Handy starren, die Ohren fest von In-Ear-Noise-Cancelling-Headphones verstopft. Natürlich hören sie dich nicht kommen…

Radfahrende und Fußgehende haben viele gemeinsame Interessen

Über all das könnte ich mich ärgern und darüber wohlfeile kleine Kolumnen schreiben, die den Dialog vergiften und das wesentliche ignorieren: Radfahrende und Fußgehende haben sehr viel mehr gemeinsame Interessen als Trennendes und sie sollten an einem Strang ziehen.

Keine Frage: Radfahren auf Fußwegen ist Mist, aber Fußgehende werden zu 99,99% (sag ich mal) von Autos bedrängt, verletzt und getötet, nicht von Radfahrern. Das sollte Thema sein, lese ich aber selten oder nie. Hier stimmt doch was nicht in der Gewichtung. Oder, wie seht ihr das?

Für mich als mindestens 50%-Fußgänger (und 50%-Fahrradberufspendler) sind Radfahrende auf dem Fußweg ärgerlich aber nur sehr selten bedrohlich. Meine echten Fußgängerprobleme sind:

  • Aggressive Falschparker,
  • Rüpelhafte Rechtsabbieger,
  • innerstädtische überbreite Autobahnen mit diskriminierenden Ampelschaltungen,
  • rotlichfahrende Autos und Lkw,
  • im Stau zugestellte Überwege.

Und deshalb werde ich mich nicht um das eine Würstchen kloppen. Wer sich um das eine Würstchen zankt ohne die neunundneunzig anderen auch nur zu erwähnen, wird am Ende nur denen Argumente liefern, die Radfahrenden keinen eigenen Platz auf der Straße zugestehen wollen. Und er wird am Ende mit dafür sorgen, dass die Zahl der Gehwegradler zu- statt abnimmt.

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